Anwender, die Betriebsanleitungen gerne lesen
Usability Tests in der Technischen Dokumentation
Durch Usability Tests wurde die Benutzungsfreundlichkeit verschiedenster Produkte wie Webseiten, Mobiltelefone, Insulinpumpen oder auch Schweißgeräte in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Die Technischen Dokumentationen und Beschreibungen dieser Produkte werden bisher noch eher stiefmütterlich behandelt. Nur selten wird deren Usability durch entsprechende Testverfahren auf den Prüfstand gestellt – oder anders gesagt: sind die Anwender bislang jedoch kaum an der Entwicklung der Beschreibungen und Darstellungen beteiligt. Dabei kann gerade hier ein Usability Test die Nutzungsqualität signifikant verbessern.
Ein wesentlicher Faktor für die Akzeptanz der Leser von Technischen Dokumentationen wie zum Beispiel Betriebsanleitungen oder Wartungshandbüchern ist die Usability, die Benutzungsfreundlichkeit. Usability bezeichnet die Nutzungsqualität und bewertet diese nach ergonomischen Grundsätzen: Mit einer benutzungsfreundlichen Dokumentation können Nutzer ihre angestrebten Aufgaben in einem bestimmten Anwendungskontext effektiv, effizient und zufriedenstellend lösen. Usability ist dabei keine absolute Qualität. Sie kann immer nur im Hinblick auf den jeweiligen Anwender sowie auf dessen Anforderungen und Ziele bewertet werden.
Die Usability verbessern – warum es sich lohnt
Die mit Hilfe von Usability Tests optimierte Dokumentation sorgt für mehr Zufriedenheit beim Kunden. Unternehmen können sich damit einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen, ja sogar ihre Technische Dokumentation als Alleinstellungsmerkmal nutzen.
Konkret bietet eine optimierte Dokumentation dem Leser / Anwender folgende Vorteile:
- Sie unterstützt den Leser optimal beim Auffinden der gewünschten Information und bei der Anleitung von Handlungsschritten.
- Durch klar definierte und schnell erkennbare Warnhinweise werden Benutzungsfehler vermieden.
- Sie verringert Zeitaufwände und somit auch Kosten beim Anwender, da er die gewünschten Informationen schneller findet.
- Sie erhöht die Akzeptanz bei den Lesern, da sie positive Erlebnisse schafft.
- Und auch die Technischen Redakteure im Unternehmen profitieren von Usability Engineering:
- Durch die Arbeit mit dem benutzerzentrierten Gestaltungsprozess werden sie stärker mit in die Entwicklung der Produkte einbezogen, die sie dokumentieren. Damit sind sie in der Lage, auch aktiv die Usability der entsprechenden Produkte zu fördern.
- Styleguides und Redaktionsleitfäden, die die Bedürfnisse der späteren Anwender einbeziehen, sorgen für mehr Effizienz bei der redaktionellen Arbeit und fördern deren Qualität durch strukturierte und standardisierte Vorgaben.
- Sie erfahren, welches das optimale Medium für die jeweilige Dokumentation ist und welche Medien sich nicht eignen.
- Redakteure können Usability Tests als kontinuierliches Mittel zur Qualitätssicherung verwenden, indem neue oder umgestaltete Dokumentationen standardmäßig getest werden.
Was ist ein Usability Test?
Eine effektive Methode eine Technische Dokumentation im Hinblick auf ihre Benutzerfreundlichkeit zu testen, sind Usability Tests. Dabei schauen Usability Engineers den Lesern bei der Nutzung des Produktes zusammen mit der Dokumentation über die Schulter. Auf diese Weise stellen sie unmittelbar die Stärken und Schwächen der Technischen Dokumentation fest. Während des Usability Tests bearbeiten repräsentative Testpersonen in Einzelinterviews verschiedene Aufgaben und beantworten die Fragen des Moderators. Dabei können mit wenigen Testpersonen (in der Regel sechs bis zwölf Teilnehmer) bereits aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden. Eine sinnvolle Ergänzung zur Beobachtung ist das Eye-Tracking. Diese Methode hilft zu ermitteln, welche Beschreibungen und Darstellungen in der Dokumentation der Testperson besonders auffallen und welche sie überhaupt nicht wahrnimmt.
Die so gewonnenen Erkenntnisse helfen bei der Weiterentwicklung der Technischen Dokumentation. Mit ihrer Hilfe können im Zuge des benutzerzentrierten Gestaltungsprozesses die Schwächen in Stärken umgewandelt werden.
Usability Tests lassen sich mit nahezu allen Arten von Technischer Dokumentation durchführen, seien es Montage- oder Betriebsanleitungen, Wartungshandbücher, Reparaturanleitungen oder auch Schulungs- und Trainingsunterlagen.
Usability Tests sind für alle Arten von Medien geeignet, egal ob die Dokumentation auf Papier, CD-Rom oder online vorhanden ist.
Wie läuft ein Usability Test ab?
Um die Bedürfnisse der Leser einer Technischen Dokumentation zu ermitteln, arbeitet die User Interface Design GmbH (UID) nach dem benutzerzentrierten Gestaltungsprozess entsprechend DIN EN ISO 13407. Hiermit werden das Konzept und die Inhalte einer Dokumentation anhand der vier Phasen „analysieren“, „gestalten“, „erfahrbar machen“ und „testen“ entwickelt. Da es sich um einen kreisförmigen Prozess handelt, besteht die Möglichkeit, in jeder Phase einzusteigen. So kann auch eine bereits bestehende Technische Dokumentation getestet und danach die weiteren Phasen zur Optimierung durchlaufen werden.
Zunächst legen Usability Engineers zusammen mit dem Kunden fest, was das Ziel des Usability Tests ist. Eine mögliche Aufgabenstellung ist, ob der Anwender eine komplexe Aufgabe mit Hilfe der Betriebsanleitung lösen kann. Ein Usability Test würde dann wie folgt ablaufen:
- Festlegen von repräsentativen Anwendern und Bestimmen der Testumgebung.
- Ausarbeiten von Testszenarien, d.h. von verschiedenen Aufgaben und Fragestellungen, welche die Testperson während einer Sitzung bearbeiten soll.
- Reale Anwender als Testpersonen definieren.
- Durchführen der Testsitzungen, die in der Regel in 1-zu-1-Sitzungen von einem erfahrenen Moderator geleitet werden.
- Beobachten des Geschehens von einem Nebenraum aus, in dem der Protokollant und optional auch ein Mitarbeiter des jeweiligen Unternehmens anwesend sind.
Dokumentieren der Testsitzungen mit Hilfe von Videoaufzeichnungen und eines schriftlichen Protokolls für die Auswertung.
Wie lassen sich die Ergebnisse umsetzen?
Nach Abschluss eines Usability Tests werden die gewonnenen Daten von den Mitarbeitern von UID nicht nur aufbereitet, sondern auch interpretiert. Daraus resultieren Empfehlungen für die Optimierung der entsprechenden Dokumentation, die sich anschließend auch in den Styleguides oder Redaktionsleitfäden wiederfinden.
Da der Technische Redakteur auch gleichzeitig immer der erste Anwender eines neuen Produktes innerhalb des Unternehmens ist, kann dieser durch die Erkenntnisse aus einem Usability Test aktiv zu der Benutzungsfreundlichkeit des Produktes beitragen. Usability Tests können auch als qualitätssichernde Maßnahme herangezogen werden, indem sie in regelmäßigen Abständen, bei Überarbeitungen oder Neuanläufen standardmäßig durchgeführt werden.
Fazit: Durch die erhöhte Akzeptanz der Dokumentation beim Anwender wird das Produkt insgesamt aufgewertet. Das wirkt sich positiv auf die Marke und somit auch auf das gesamte Unternehmen aus.
Informationen zu den Autoren:
Jakob Biesterfeldt arbeitet seit 2004 als Usability Engineer und Projektleiter für die User Interface Design GmbH in München. Er ist Manager User Research und verantwortlicher Ansprechpartner für die International Usability Partners (IUP). Zuvor studierte er Product Engineering an der Hochschule Furtwangen und schloss dort als Diplom-Wirtschaftsingenieur ab. Anschließend war er im Competence Center Human-Computer Interaction des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation beschäftigt. Jakob Biesterfeldt ist Mitglied der Usability Professionals Association (UPA) und der German UPA. Er ist Co-Chair für die UPA international conference 2009 und 2010.
Tobias Walke arbeitet seit 2008 als Usability Engineer bei der User Interface Design GmbH (UID). Seine Haupttätigkeiten liegen dort in den Branchen „Medical Solutions“ und „Industry Solutions“. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Usability von Technischer Dokumentation. Tobias Walke studierte an der Hochschule Furtwangen Product Engineering mit der Vertiefungsrichtung Dokumentation und Kommunikation. Vor seiner Tätigkeit bei UID war der Diplom-Wirtschaftsingenieur drei Jahre lang als Technischer Redakteur beim Dienstleister mühlbauer+partner tätig und erstellte dort die Betriebsanleitungen für diverse Modelle von BMW und Mercedes-Benz.